Das beständige zahlenmäßige Wachstum der Heere und die große Verdichtung des Verkehrsnetzes führten stufenweise zu einer Selektion der Festungen: man bevorzugte nun Festungsanlagen, die wichtige Verkehrsknotenpunkte einschlossen und groß genug waren, um ganze Armeen passieren zu lassen. Der Bau durchgehender Befestigungslinien mit einer angemessenen Länge kam in Friedenszeiten in der Regel nicht in Frage. Man musste sich in Anbetracht der immensen Kosten damit zufrieden geben, das Gelände mit Ketten von kleineren, zusammenwirkenden, beschränkt autonomen Festungen - Forts - zu sichern.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1871 wurde Küstrin - ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, der auch den Zusammenfluss von Oder und der Warthe beherrschte – zu den wichtigsten Festungen des Kaiserreiches gezählt. Man entschied sich, Küstrin in einen richtigen „Manövrierplatz“ umzuwandeln, d.h. eine Festung, die nicht die Übersatzstellen für eigene Truppen sichern, sondern ihnen auch Ausgangsstellungen für einen Angriff nach außen bieten konnte. Da Küstrin am Rande des Urstromtals liegt und von Hochebenen umgeben ist, war es notwendig, die weitläufigen Brückenköpfe am Rande Letzterer zu sichern. 1876 plante man, die Festung mit einer Kette von acht Werken zu umgeben. Seit 1883 wurden vier Forts begonnen, jedoch wurde die Festung schon 1886 degradiert - sie musste von nun an nur dem Angriff der Feldtruppen und nicht mehr den schwersten Geschützen trotzen. Allerdings erlaubte ihre Positionierung in der Tiefe des Territoriums, provisorische Ergänzungsarbeiten auf Kriegszeiten zu verschieben.
Das beeindruckendste Werk dieser Zeit war das Fort Zorndorf, das in den Jahren 1883-87 (88?) errichtet wurde. Sein Plan und die Verteilung der Kampfstellungen basierte auf dem charakteristischen Schema eines „mittleren Forts“ für eine Infanterie-Kompanie und 24 Kanonen. Letztere wurden zum Teil auf der Wallkrone zwischen den charakteristischen, die Stellung teilenden und schützenden Traversen aufgestellt. Zum anderen Teil befanden sie sich in der Reserve bzw. in den Batterien, die man zu beiden Seiten des Forts bauen wollte. Für die Aufnahme dieser „Anschlussbatterien“ baute man frühzeitig entsprechende Schutzhohlräume für das Personal und die Munition. Wie auch andere Werke, die bereits in den achtziger Jahren gebaut wurden, wurde Fort Zorndorf zusätzlich mit einem kompletten Niederwall mit Brustwehr für die Schützen an der Eskarpe (innere Grabenböschung) versehen - die charakteristischen „Zähne“, so genannte Schulterwehren, sollten die Fußsoldaten vor dem Beschuss von der Flanke, zum Teil auch vor Sprengstücken schützen. Fort Zorndorf unterscheidet sich von den in anderen Festungen serienmäßig errichteten Werken vor allem in der ungewöhnlichen Gliederung des Inneren. In dieser Hinsicht ist es zusammen mit dem ebenfalls in Küstrin und im gleichen Zeitraum gebauten Fort Gorgast eine im deutschen Festungsbau einmalige Erscheinung. Zusammen mit Artilleriesoldaten, einem Pioniertrupp, Telegrafenmannschaft, Beamten und Offizieren konnten die Besatzungen so großer Festungswerke bis zu ca. 600 Menschen umfassen. Jedoch weist das Fassungsvermögen der Küstriner Fortkasernen darauf hin, dass ihre Besatzungen ein wenig kleiner gewesen sein müssen.
Die während des Baus des Forts durchgeführten Experimente zeigten einen deutlichen Anstieg der Effektivität von Artilleriegeschossen, die nun mit neuen synthetischen Sprengstoffen gefüllt wurden. In Folge dessen mussten die klassischen Ziegel-Erdbauten unbedingt verstärkt werden. Da die Festung 1886 deklassiert wurde, wurden die Baumaßnahmen in den Küstriner Forts auf ein Minimum beschränkt. Sie sollten jetzt lediglich den Feldtruppen Wiederstand leisten, die höchstens von Kanonen mit einem Kaliber bis 12 cm und Wurfgeschützen bis 15 cm unterstützt wurden. Anfänglich versuchte man, die die Bauten bedeckenden Erdmäntel zu verstärken. Später schützte man die gewählten Räume mit Betonschichten, die auf einem Sandpolstern aufgegossen wurden. Endlich goss man Beton unmittelbar auf die Ziegelgewölbe - in dem Fort erfolgten die wichtigsten Verstärkungsmaßnahmen in den Jahren 1889-90. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert veränderten sich die Pläne des Armierungsausbaus der Festung - Fort Zorndorf fand sich nun im Rücken der neugeplanten Stellung. 1914 konnte es der Festungsbesatzung als Kaserne dienen, auch durfte man in einigen Räumen die Munition aufbewahren. Ansonsten wurden in dem Fort vor 1914 bei Übungen die Truppen kaserniert. Während des Krieges wurde es als Gefangenenlager genutzt, und nach dem Krieg wurden seine Kasernen vorübergehend zu einer provisorischen Wohnung für „Optanten“, die aus Polen emigriert waren. Während des 2. Weltkrieges wurde hier die Munition für Handfeuerwaffen hergestellt, es funktionierten hier wohl auch andere Produktionsstätten. Am 2. Februar 1945 besetzte die Rote Armee das Fort kampflos. Später brachte man hier die in der Gegend gesammelten Blindgänger zur Explosion, dann nutzte das polnische Heer das Werk als Schafstall. An den Wänden des Forts findet man zahlreiche Grafittis aus verschiedenen Zeiten.
Achtung! Obwohl in der Praxis das Fort von Touristen besucht wird, ist formell dessen Betreten verboten, was übrigens bei seinem schlechten Zustand völlig berechtigt ist. Insbesondere muss man auf die Trümmerhalden, die nicht gesicherten Löcher in den Zwischendecken, die Schächte der Munitionsaufzüge und die Wassersammler zu achten. Außerdem gibt über den hohen Fassaden keine Sicherungsgeländer.
Fort Gorgast (erbaut 1883-89) ist ein zum Fort Zorndorf komplementäres Denkmal, es unterscheidet sich von jenem hauptsächlich dadurch, dass es nicht auf einer trockenen Anhöhe, sondern im Urstromtal errichtet wurde und mit einem Wassergraben umgeben werden konnte. Die Kaponieren (also die mit Schießscharten versehenen Bauten im Graben, die dessen Abschnitte von der Flanke her bestreichen sollten) konnten hier nicht verwendet werden, weil sie im flachen Gelände nur schwer vor dem Beschuss aus dem Vorfeld zu schützen waren. Die Ecken des Niederwalls (Infanteriewalls) formte man ähnlich wie die Bastionen und platzierte darin große Unterstände mit Abstellräumen für Kanonen und Latrinen. An den kürzeren Seiten richtete man die Stellungen für Kanonen ein, die die Gräben und nähere Umgebung des Forts flankieren konnten. Die innere Einrichtung des Forts ähnelt dem des Forts Zorndorf, sie ist aber einfacher: die Wälle bedecken eine Saillant- (Front-, Spitzen-) Kaserne und eine Mittelkaserne. Hier befanden sich einst die Schlafräume der Besatzung, Toiletten, die Küche, Brunnen und technische Räume (Werkstätten, Räume für die Vorbereitung und Aufbewahrung der Fertigmunition, die Aufzüge zum Transport der Munition auf die Ebene des Artilleriewalls). Darüber hinaus war hier ein Kriegspulvermagazin, das an die Frontkaserne angeschlossen wurde. Alle Einrichtungen sind durch ein System von oberirdischen Wegen und Rampen sowie durch unterirdische Hohlgänge miteinander verbunden.
Nach dem 2. Weltkrieg befand sich im Fort ein Betrieb der NVA, der Altmunition entsorgte. Trotz mancher Zerstörungen und der Beherrschung des Fortgeländes durch die Bepflanzung ist es noch gut erhalten, es wird von dem Verein Fort Gorgast e.V. gepflegt und schrittweise renoviert. Derzeit finden in dem Fort regelmäßig kulturelle Veranstaltungen statt. Nach dem Erwerb einer Eintrittskarte darf man das Werk selbständig oder mit einem Fremdenführer besichtigen.
Bei dem Bau der Forts Säpzig (erbaut 1887-90) und Tschernow (erbaut 1888-90) machte man schon von einer neuen Technologie Gebrauch, welche die Bauten vor der Brisanzmunition schützen sollte. Alle Ziegelgewölbe der Hohlräume wurden mit Schutzschichten aus Beton versehen, welche von den zu schützenden Konstruktionen durch amortisierenden Sandpolster getrennt sind. Charakteristisch ist hier auch die neue Konstruktion der den Graben flankierenden Kaponiere, die nun in die Kontreskarpe (äußere Grabenwand) eingebaut wurden und dadurch besser gegen Artilleriebeschuss gedeckt waren (Fot. Marek Wichrowski).
Als sich der Status der Festung 1886 veränderte, entschied man sich, die Ausstattung der beiden Forts auf ein Minimum einzuschränken. Sie verfügten deswegen über keine Kasernen für die Besatzung, die erst 1914 hinzu gebaut wurden. Die ursprünglich als große Batterien für je 12 Wallgeschütze und 4 Mörser gedachten Forts waren damals schon reine Infanteriewerke - in den die Geschützstellungen deckenden Brustwehren hob man die Schützengräben aus.
Die Zeichnung stellt das Fort Säpzig schon nach der Ausführung dieser Arbeiten dar, sofern sie noch heute wahrnehmbar sind. Doch verzichtete man zur Vereinfachung auf die Darstellung der eisernen Ausstattungsteile, vor allem der Hindernisgitter, die auf der Krone der äußeren Grabenwand sowie auf der Mauer und auf einer Erdbank in der Kontreskarpe (aüßere Böschung des Grabens) in der Kehle (Rückenseite) des Forts standen (vgl. Plan und Querschnitt). Auch die unter dem Schutze des das Fort umgebenden „Vorglacis“ gespannten Drahthindernisse sowie die das Werk begleitenden Pflanzenformationen konnten wegen des Fehlens entsprechender Daten nicht dargestellt werden.
Das relativ gut erhaltene Fort Säpzig gehört der Gemeinde Górzyca (Göritz). Wer es besichtigen will, muss sich an den aktuellen Pächter wenden. Das Fort Tschernow, bei dem die meisten Mauerbauten nicht mehr bestehen - derzeit besteht eine ökologische Nutzung - ist auch sehenswert, weil es etliche gute Querschnitte durch die woanders kaum sichtbaren Konstruktionen bietet.
Die Forts bildeten mit dem ausgebauten Netz der Festungswege nur ein Skelett der Stellungen, die im Kriegsfalle entsprechend „armiert“ werden sollten - durch Anlage von Schützengräben, Stützpunkten, Batterien, Untertreter- und Munitionsräumen, endlich von Hindernisstreifen, die diese ganze Infrastruktur zu schützen hatten. Noch in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts erwog man das Vorschieben der Befestigungen vor die durch die Forts abgesteckte Linie, um die die Festung beherrschenden Anhöhen zu besetzen. Die Erweiterung der Festung war nötig, wenn sie ihre Rolle erfüllen sollte: die Ausgangsstellung für eine offensive Wendung, z. B. auf die Flanke des auf Berlin marschierenden Feindes, bieten. Als dieses Konzept sich um die Jahrhundertwende konkretisierte, begann man Baustoffe zu sammeln, die insbesondere zur Herstellung von beständigeren Schutzhohlräumen nötig waren - vor allem vorfabrizierte Eisenteile, die in der heißen Periode der Mobilisierung schwer zu bekommen gewesen wären.
Der Ausbruch des 1. Weltkrieges im Sommer 1914 brachte den komplizierten und detailliert geplanten Prozess der Armierung der Festung Küstrin in Gang. Die mobilisierten und in sog. „Armierungsbataillone“ eingegliederten Soldaten des Landsturms erbauten ausgedehnte provisorische Stellungen, wobei sie kilometerweise Schützen-, Deckungs- und Verbindungsgräben aushoben, Drahthindernisse anlegten, Verhaue aus gefällten Bäumen und Büschen und Unterstände bauten. Ebenso wurden die Kasernen der Forts Säpzig und Tschernow, Batterien und Munitions-räume errichtet und entsprechende Fernsprechleitungen gelegt. Wie auch in anderen Festungen verwendete man dabei wohl die behelfsmäßig gebauten Strecken der Schmalspurbahn sowie die Förderbahnen. Die Lage Küstrins in der Tiefe des deutschen Gebietes hatte zur Folge, dass es damals keine Festung von wichtiger Bedeutung war. Wir können annehmen, dass es sich hier um sehr einfache, hauptsächlich mit den Mitteln der Feldbefestigung geschaffene Anlagen handelte. Die Größe des „doppelten Brückenkopfes“ (nördlich und südlich des Wartedeltas) war aber imposant - er bildete ein Oval mit einem längsten Durchmesser von etwa 22 km.
Die bis heute bestehenden Infanterie- und Munitionsräume wurden auf der verlorenen Schalung aus verzinktem Wellblech und Ziegelmauern errichtet, welche mit Kiesbeton, in weniger gefährdeten Teilen auch mit Beton und Ziegelschutt ausgefüllt waren.
Die innere Einrichtung der Infanterieräume war sehr einfach (abgesehen von soliden Abschlüssen von Tür- und Fensteröffnungen waren es Öfen, Bänke oder Pritschen, Tornisterbretter, Gewehr-stützen, Klapptische u. s. w.). Wegen der halbrunden Querschnitte der Räume muss im Inneren ein ziemliches Gedränge geherrscht haben.
Man begann noch während des Krieges, die von Natur aus ziemlich unbeständigen Erdbefestigungen zu beseitigen, damit die von ihnen bedeckten Felder wieder beackert werden konnten. Heute findet man im Gelände nur noch an ganz wenigen Stellen deren Überreste. Beachtenswert sind hier die erhaltenen Grabennetze, die einst die Stützpunkte bei Tamsel und Podelzig bildeten. Weil entsprechende Daten fehlen, ist unsere vorübergehende Rekonstruktion des Stützpunktes am Infanterieraum „1“ vor allem eine Sammlung von Hypothesen, die sich vielleicht noch überprüfen lassen. Sie gibt aber den Charakter dieser Befestigungen wieder und zeigt die Baustoffe, die bei der Anlage verwendet wurden.
Die veraltete und desarmierte Festung wurde formell erst 1938 aufgelöst. In der Zwischenzeit war ihre Kommandantur eine bequeme Tarnung für geheime Vorhaben, die die Abwehr der polnischen Invasion ermöglichen sollten. Sie leitete die Vorbereitungen, auch die fortifikatorischen, in dem gesamten Grenzstreifen von Odereck bis in den Raum von Soldin. In den 30er Jahren wurde in Küstrin der Baustab stationiert, der den Bau der Festungsfront ‚Oder-Warthe-Bogen’ leitete. Die zwei jüngsten Objekte der Festung sind die Unterstände für zwei bzw. eine Infanteriegruppe, die um 1930 auf der Oderbastion des Hornwerkes und auf dem östlichen Widerlager der Ostbahnbrücke errichtet wurden. Sie dienten der unmittelbaren Sicherung der Bahnbrücken.
Der Zustand der erhaltenen Unterstände und Munitionslager ist sehr unterschiedlich, die zugänglichen Objekte sind in der Regel stark beschädigt, immer der geraubten Metallausstattung entkleidet und mit Müll gefüllt. Es verstecken sich freilich unter der Erde noch etliche „Zeitkapseln“, d.h. die Infanterieräume, die während des 1. Weltkrieges vermauert und verschüttet, seit dieser Zeit aber nicht mehr geöffnet wurden. Es ist hier zu unterstreichen, dass selbst die ruinierten Bauten attraktive Ziele für Ausflüge sein können, denn das Gebiet der Festung Küstrin wurde durch keine große Stadt umgeformt, man kann also die Relationen zwischen den einstigen, nur noch durch die Unterstände angezeigten Objekten wahrnehmen. Wir empfehlen vor dem Ausflug einen Besuch im Museum, oder mindestens in dem Informationspunkt am Berliner Tor, wo man eine entsprechende Karte erwerben kann.
Text, Zeichnungen und die nicht unterzeichneten Fotos: Marcin Wichrowski