Im Januar 1945 zog die Rote Armee zu einer weiteren Großoffensive von der Weichsel in Richtung Westen und stürmte blitzartig vorwärts. Durch Küstrin zogen riesige Tracks erschöpfter Flüchtlinge aus den Ostgebieten, denen sich ein Großteil der Zivilbevölkerung Küstrins anschloss. In der nun zur „Festung“ ernannten Stadt strandeten auch viele Soldaten aus zerschlagenen Einheiten der Wehrmacht, sie wurden sogleich in die Garnison der „Festung“ eingegliedert. In der „Festung Küstrin“ wurden fieberhaft Vorbereitungen zur Verteidigung getroffen, die den Ansturm der herannahenden Roten Armee aufhalten sollten. Diese gründeten vor allem auf der Anlage von Feldbefestigungen und Hindernissen sowie der Vorbereitung der Bauten der Stadt zur Verteidigung. Auch die alten, noch erhaltenen Festungswerke, deren günstige Lage dafür sprach, wurden genutzt. Bereits gegen Ende des Monats näherten sich Vortrupps der Roten Armee der Oder. Am 31. Januar 1945 errichteten die Rotarmisten bei Kienitz, nordwestlich von Küstrin, am westlichen Ufer ihren ersten Brückenkopf. Am gleichen Tag drangen einige sowjetische Panzer in die Neustadt und gelangten bis in die Innenstadt, jedoch wurde der Angriff abgewehrt. In den ersten Tagen des Februar erreichte und erweiterte die Rote Armee bei immer heftiger werdendem Widerstand der Deutschen weitere Brückenköpfe an der Oder auf beiden Seiten Küstrins und riegelte die Stadt ab, jedoch gelang es ihnen nicht, sie „aus dem Stand“ zur erobern.
Die ausgekundschafteten und vermuteten Befestigungen der „Festung Küstrin” und die Gliederung ihrer Besatzung in Kampfgruppen nach den Erkenntnissen von Torsten Fudel (Der Krieg an der Oder, Wahlsdorf 2011). Über eine Dokumentation der Befestigungsarbeiten, die Ende Januar 1945 durchgeführt wurden, verfügen wir nicht. Nach 70 Jahren sind von den damaligen Feldbefestigungen nur noch vereinzelt verstreute Bruchteile erhalten. Die Informationen kann man zum Teil in Anlehnung an eine Analyse alter Luftaufnahmen sowie zeitgenössische LIDAR-Aufnahmen ergänzen, jedoch werden die Ergebnisse immer fragwürdig bleiben. Einige weitere Hinweise bieten sowjetische Situationsskizzen, die u. a. ein Hindernis aus Stacheldraht am östlichen Rande der Neustadt zeigen. Die sowjetische Aufklärung lieferte jedoch nur ein sehr fragmentarisches Bild der Befestigungen im Inneren der Stadt und zum Teil wurden auch Kampfgruppen falsch identifiziert - was von einer offensichtlichen Unterschätzung ihrer Schlagkraft und eines pioniertechischen Ausbaus der Verteidigung zeugt.
Seine militärische Bedeutung verdankte Küstrin der Tatsache, dass durch die Stadt eine Eisenbahnlinie und eine Chaussee direkt nach Berlin führten, welche für eine Versorgung der finalen Kriegsoperationen in Europa unentbehrlich waren. Die Hauptaufgabe der Garnison war es, den Feind so lange wie möglich bei der Besetzung und Instandsetzung der Brücken zu stören und aufzuhalten. Der Wehrmacht gelang es, einen die Stadt mit den eigenen Linien verbindenden und die sowjetischen Brückenköpfe trennenden Korridor, die sogenannte „Schlauchstellung”, zu öffnen und zu halten. Dies ermöglichte eine schrittweise Evakuierung der restlichen Zivilbevölkerung und gleichzeitig konnte auf dem selben Wege die Versorgung der Festung gesichert werden.
Am 6. März begann die Rote Armee auf dem rechten Ufer der Warthe und dem linken Ufer des Odervorflutkanals einen simultanen Angriff, der zu einer vollständigen Beseitigung der Festung führen sollte. Nach einer Woche schwerer Kämpfe waren die Bezirke Neustadt und Kietz eingenommen, wobei sie nahezu gänzlich zerstört wurden. Jedoch war das Ziel noch lange nicht erreicht. Die Deutschen kontrollierten noch immer die Brücken und hielten die während der Frühjahrsüberschwemmungen schwer erreichbare Altstadt sowie den „Schlauch”, der sie mit ihren eigenen Linien verband, weiterhin in ihrer Hand.
Erst am 22. März leitete die sowjetische Armee eine Operation ein, die zur Verbindung ihrer Brückenköpfe führte und sie zu einem größeren vereinte. Die Festung Küstrin war nun von ihrem Hinterland abgeschnitten. Die wiederholten Entsatz-Versuche hatten keinen Erfolg. Daran konnte sogar eine persönliche Intervention Hitlers nichts mehr ändern. Vom 24. März an wurde die Bombardierung der Altstadt so stark intensiviert, dass sie sich völlig zu Ruinen verwandelte. In den darauf folgenden Tagen verkleinerte die Rote Armee sukzessiv den restlichen Umfang der Festung und drückte schließlich die Verteidiger im mittleren Teil der Oderinsel auf einem kleinen Brückenkopf auf der westlichen Seite des Odervorflutkanals zusammen. Von diesem schlug sich in der Nacht zum 30. März ein letzer Rest der einstigen Festungsgarnison zu den eigenen Linien durch. Diese erreichten etwa 1000 Soldaten - noch am Anfang des Monats zählte die Garnison der Festung Küstrin um 10.000 Mann…
Die Sieger gingen sofort daran, Ersatzbrücken für Verkehr und Eisenbahn zu bauen, die an die alten Eisenbahnbrücken der Ostbahn angelehnt waren. Trotz der großen Schäden durch die Luftangriffe fuhr bereits am 25. April 1945 der erste Zug über die Brücken und erreichte den Bahnhof Berlin Lichtenberg.
Die Anzahl der von den Kämpfen verschlungenen Todesopfer ist nicht bekannt, jedoch könnte sie sogar 10.000 erreichen. Auf dem Gelände der Stadt findet und exhumiert man bis heute immer wieder menschliche Überreste. Über 90% der städtischen Bebauung wurden zerstört. Die ältesten Werke der Festung wurden durch den massiven Beschuss mit modernen Waffen und Luftbomben schwer beschädigt. Küstrin verfiel in einen Schlaf.
Bój XXXII Korpusu Strzeleckiego o miasto Küstrin (Kostrzyn)
Text und Bildbearbeitung: Marcin Wichrowski, Übersetzung: Julia Bork